Meldung vom 21.01.2024
Statement des ÖBV-Schiedsrichterreferats
Kurztext
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Stellungnahme zur Schiedsrichterleistung im Basketball Austria Cup Finale der Herren am 21. Januar 2024.
Pressetext
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Ich möchte vorausschicken, dass am vergangenen Wochenende das Basketball Austria Mid-Season-Meeting der österreichischen Officials in Wien stattgefunden hat. Die ÖBV-Schiedsrichter:innen treffen einander zweimal jährlich zu verpflichtenden Clinics (eben Pre-Season- und Mid-Season-Meeting). Dabei werden in ein- bis zweitägigen Workshops Vorgaben und Guidelines der FIBA und des ÖBV kommuniziert sowie anhand von Video-Clips aus den diversen österreichischen Ligen Verbesserungspotential analysiert und es wird den Ursachen für Fehlentscheidungen auf den Grund gegangen. Beim diesjährigen Meeting waren – so wie bereits im Vorjahr – Davorin Nakic aus Kroatien als FIBA Europe Referee Manager, der die Ansetzungen für alle europäischen Spitzenbewerbe von EuroBasket und Champions League abwärts gestaltet, sowie zwei Senior Referee Instructors aus seinem Team aus Slowenien bzw. Serbien in Wien dabei, um mit den heimischen Referees zu arbeiten. Österreich ist dabei eines von nur vier Ländern in Europa, denen diese Ehre zuteilwird. Die Herrschaften der FIBA waren auch beim Spiel anwesend und haben anschließend mit dem Kommissar und dem FIBA National Instructor Austria sowie natürlich der Crew das Spiel aufgearbeitet.
Als nächstes möchte ich vorab klarstellen, dass ich nichts schönreden oder verharmlosen und mich berechtigter Kritik keineswegs verschließen will. Seitdem ich das ÖBV-Schiedsrichterreferat im Mai 2023 übernommen habe, stehen zwei Prinzipien im Mittelpunkt: Trust (Vertrauen) und Honesty (Ehrlichkeit). Beides geht nicht ohne das jeweils andere. Es beginnt innerhalb der Schiedsrichter-Crew, geht über unsere „Kund:innen“, für die wir als „Service Providers“ agieren, nämlich Vereine, Coaches und Spieler:innen, und endet bei unglaublich wichtigen externen Stakeholdern wie Zuschauer:innen und Medien.
Ich gebe daher ehrlich zu, dass mein Team und ich mit der Schiedsrichterleistung nicht restlos zufrieden waren, weil tendenziell in der zweiten Hälfte und besonders in den letzten fünf Spielminuten, die eine oder andere Entscheidung getroffen wurde, die falsch bzw. unpassend war und/oder die mit der für das betreffende Segment zuvor angewendeten Linie nicht konsistent war. Dass dies Frustration und Unmut hervorruft, kann ich gut nachvollziehen. Es ist stets enttäuschend, wenn eine generell gute Leistung in einer spannenden kompetitiven Begegnung durch einzelne (Fehl-)Entscheidungen einen fahlen Beigeschmack erhält, auch für uns und für die Referees selbst.
Die Schiedsrichter:innen sowie ich als deren Vorgesetzter – und für deren Leistung Verantwortlicher – sind keineswegs dünnhäutig oder beleidigt, wenn in der Emotion nach dem Spiel dementsprechend kritische und harsche Kritik geäußert wird. Das gehört zu diesem „Beruf“ dazu und damit muss man als Referee jederzeit umgehen können. Denn es ist klar, dass wir von jenen, für die wir die Leistung erbringen und von denen wir letztendlich bezahlt werden, auch an der Qualität dieser Leistung gemessen und beurteilt werden. Ich sehe es daher nicht als meine primäre Aufgabe, die Schiedsrichter:innen gegen berechtigte Kritik zu verteidigen, aber es ist mir ein Anliegen, die Dinge in eine Relation mit Augenmaß zu bringen:
1. Bei diesem Spiel waren drei heimische Top-Referees am Werk, die Woche für Woche in Österreich und teils in internationalen Bewerben Verantwortung übernehmen und als Crew Chiefs ihr Bestes geben, um für die Vereine einen optimalen Service zu gewährleisten.
2. Über das gesamte Spiel, vor allem aber auch im letzten Viertel, wurden vom Observer Team 85% aller Entscheidungen als richtig bzw. supportable beurteilt. Dazu im Detail:
a. Ist es ein Fehler der Referees, wenn eine Out-Entscheidung falsch getroffen oder ein Foul übersehen oder ein Kontakt fälschlicherweise von weiter weg als Foul beurteilt wird – definitiv JA!
b. Ist es ein Fehler der Referees, wenn nach erfolgter offizieller Verwarnung ein Fehlverhalten (hier: Flop/Act durch einen klaren Head Fake) wiederholt, in der Crunch Time eine illegale Sperre gesetzt oder ein sogenanntes landing spot foul an einem Werfer begangen wird – definitiv NEIN!
c. Boxscore: Ist es nach 52% 2PT, 27% 3PT aus dem Feld, 23:23 Fouls und 23:19 Freiwürfen (trotz clock stopping fouls) und 21 Turnovers eine fachlich korrekte Schlussfolgerung, dass die Referees durch 5-6 Fehlentscheidungen (die zugegebenerweise ganz sicherlich passiert sind) das Spiel entschieden haben? Oder haben nicht vielleicht die Mannschaften durch ihre Performance auch einen Anteil daran? Könnte man andenken, dass die menschlich und fachlich sehr aufrichtige Äußerung des Head-Coaches im Post-Game-Statement, dass alle am Spielfeld Fehler machen, auch die Referees, nicht ganz unwahr sein könnte?
d. Es ist keine Entschuldigung, aber statistisch gesehen wählen die Schiedsrichter aus über 1.000 Kontakten pro Spiel im Schnitt etwa 40 (hier: 46) als Foul aus. Das sind ca. 4% Selection, bei denen 100% Trefferquote erwartet wird – und das in Bruchteilen von Sekunden auf weit engerem Raum und mit weit weniger großzügig gefasster Vorteils-/Nachteils-Regel als etwa beim Fußball in einem emotionalen „Hexenkessel“ bei einem wichtigen Spiel mit entsprechendem Druck der Halle.
e. Fokus: Mannschaften, Trainer:innen, Zuschauer:innen, Manager:innen können die Schiedsrichterleistung heute und im nächsten Spiel nicht beeinflussen. Das kann ich aber gezielt, und dafür arbeite ich Tag und Nacht mit meinem Team. Sehr wohl aber können die zuvor Genannten, und hier speziell Manager:innen und Coaches, ihre Energie dorthin kanalisieren, wo sie selbst an den Schrauben drehen können: sie können in den kommenden 5-6 Tagen bzw. 8-10 Trainings bis zum nächsten Spiel mit den Spielern arbeiten, um die obigen Statistikwerte weiter zu verbessern, während ich mit den Schiedsrichter:innen arbeiten kann, um die Gründe für Fehler zu eruieren und sie im nächsten Spiel zu vermeiden. Wie wäre es also, wenn nach dem Spiel jede Seite zwar ehrlich ihre Meinung sagt, dann aber jeder vor seiner Haustüre kehrt und selbstkritisch an jenen Elementen arbeitet, die man in seinem eigenen Zuständigkeits- oder Tätigkeitsbereich bis zum nächsten Spiel verbessern kann?
f. Wir bzw. ich sehe Spiele mit ähnlich gelagerten Fehlern oder Unschärfen immer wieder. Interessant ist, dass wenn das Spiel dann gewonnen wird oder wenn sich dieselben Fehler in Minute 1-5 anstatt 35-40 ereignen, kaum öffentliche Kritik aufkeimt, obwohl es sich um genau dieselben Fehlentscheidungen handelt. Daher fällt es teilweise schwer, in solchen Fällen hehre Absichten und nicht „Vereinsbrille“ zu vermuten.
3. Zusammenfassend möchte ich daher bekräftigen, dass ich zu 100 Prozent hinter der Schiedsrichteransetzung zu diesem Spiel stehe und dass die Kollegen in einem schwierigen Spiel eine adäquate Leistung abgeliefert haben, die bestimmt nicht fehlerfrei war, bei der die Fehlerquote aber weder prozentuell noch in absoluten Zahlen im Verhältnis zur Performance und den Fehlern der Teams überdurchschnittlich war oder einer unverdienten Mannschaft zum Sieg verholfen hätte.
4. Thema ausländische Profi-Schiedsrichter:innen:
a. Abgesehen von Italien, wo es drei und Deutschland, wo es einen gibt, existieren in keinem österreichischen Nachbarland Profi-Schiedsrichter:innen.
b. In diesen beiden Ländern etwa beträgt die Game Fee für Referees 750 (GER) bis 900 (ITA) Euro pro Spiel pro Schiedsrichter:in. Ob die Antwort auf eine Anfrage an Referees in diesen beiden Ländern, in Österreich, dem mutmaßlich lebenswertesten und teuersten der drei Länder, um die Entschädigung von 160 Euro brutto ein Spiel zu übernehmen, positiv ausfallen würde, wage ich zu bezweifeln.
c. Ungefähr alle zwei Monate erreichen mich Anfragen aus Nachbar- oder anderen europäischen Ländern, ob wir ihnen mit österreichischen Schiedsrichter:innen aushelfen können. Dies hat exakt den gleichen Grund, warum das bei uns in regelmäßigen Abständen gefordert wird, und hat nur sehr begrenzt mit der Performance zu tun, sondern damit, dass überall Schiedsrichtermangel herrscht, die Spitzengruppen klein sind und Vereine und Zuschauer:innen die Referees so oft sehen, dass teilweise bereits beim Betreten der Halle Vorurteile wegen des letzten Aufeinandertreffens bestehen und man sich einfach schon gegenseitig auf die Nerven geht („ah, der scho wieda“).
d. Jede Integration von Schiedsrichter:innen aus dem Ausland wäre für drei bis vier Wochen erfolgreich, anschließend würden die ausländischen Kolleg:innen genauso bekannt und verrufen sein und kritisiert werden wie die Referees aus Österreich. Ich nenne das den „FIBA-Effekt“. In FIBA-Clubbewerben ist es meist deswegen so ruhig, und wird die Leistung viel besser gesehen, weil man die Referees, die einmal in der Saison ein Heimspiel meines Clubs pfeifen, in der Regel nicht kennt. Man weiß nicht, was man von ihnen erwarten kann, weiß nicht, wie sie performen und wie streng sie sind. Daher verbinden uns als gemeinsame Basis auf professioneller Ebene lediglich das Regelwerk und die Offiziellen Interpretationen und nicht ein persönliches Image oder ein „Rucksack“ aus der Vergangenheit.
5. Wenn also mehrere Personen in sozialen Medien ein Qualitätsproblem verorten, so stimme ich dem ansatzweise zu, weise aber darauf hin, dass dessen Ursprung ein Quantitätsproblem ist. Nur mit genügend Nachwuchs, mit talentierten Prospects, motivierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen und/oder ehemaligen Spieler:innen und Coaches, die sich dafür entscheiden, sich in den Dienst des Sports und dieser undankbaren Aufgabe zu stellen, können mittelfristig Auswahlmöglichkeit, Wettbewerb und Raum zur adäquaten Reaktion auf über- oder auch unterdurchschnittliche Leistungen geschaffen werden. Bekommen und erhalten wir diese Schiedsrichter:innen beim Sport, wenn wir sie von Mini-Turnieren bis zum Cup Finale nach Fehlern teilweise wie Abfall behandeln, sie beschimpfen und ihnen implizit Parteilichkeit oder Betrug unterstellen („desaströs“, „Volltrottel“, „Frechheit“, „parteiisch“) und unseren Kindern, mit denen wir in der Halle sind und/oder die ebenso bereits soziale Netzwerke konsumieren, diese Haltung gegenüber den Schiedsrichter:innen vorleben?
6. Dies ist ein Prozess, der Geduld und Miteinander aller Beteiligten erfordert. Jede Emotion und jeder Frust nach einem derart knapp verlorenen Cup-Finale, speziell nach einer Teilnahme nach längerer Zeit in der Vereinsgeschichte, sind verständlich. Wo gehobelt wird, fallen Späne – und jeder macht Fehler. Das ist in der Euroleague so, das war bei der letzten EuroBasket so, und das ist auch in Österreich und in allen Nachbarländern so, mit denen wir teils sehr eng zusammenarbeiten. Genauso machen Spieler:innen und Coaches Fehler, was überhaupt die Notwendigkeit von Schiedsrichter:innen als Service Provider für diesen wunderbaren Sport bedingt. Es ist bei den Referees so wie bei den Mannschaften: mal geht es besser, mal läuft es schlechter. Es ist nachvollziehbar, dass Vereine und Fans, speziell bei Cup-Bewerben oder sogenannten Do-or-die-Games nur an das Ergebnis denken. Die Schiedsrichter:innen können 37 Minuten exzellent, ausgewogen oder zumindest durchschnittlich performen – nach dem Spiel wird speziell die verlierende Mannschaft meist lediglich über die drei Minuten sprechen, in denen das vielleicht nicht der Fall war (anstatt über die eigenen 48 bzw. 73% missed shots oder 21 TO). That’s life – und ist das Leben immer fair? Aus Sicht der Mannschaften sicherlich nicht immer, aber auch die Behandlung aus Schiedsrichtersicht ist bestimmt nicht immer fair. Was jedoch fair, zumindest aber wertschätzend und respektvoll sein kann und sollte, ist die Kommunikation, nachdem das Schlusssignal ertönt ist – sei es in Interviews, in Medien oder auf Social Media. Sonst werden wir in naher Zukunft noch mehr als zuletzt 60 (Nachwuchs-)Spiele (!) allein im Wiener Landesverband – dem größten Landesverband Österreichs – in der vergangenen Saison aufgrund von Schiedsrichtermangel verschieben oder ganz absagen müssen.
Ich übernehme die volle Verantwortung für die Besetzung und die Leistung der Offiziellen sowie für die obigen Ausführungen, die – wie man hoffentlich merkt – nicht der Ausflucht oder der Schönfärberei dienen, sondern vielmehr der Erklärung, Bewusstseinsbildung und dem gegenseitigen Verständnis. Falls es dazu Rückfragen oder Kritik gibt, bin ich gerne offen dafür und würde mich freuen, wenn diese an mich persönlich an refs@basketballaustria.at gerichtet werden könnten anstatt dem Thema „Schiedsrichter:innen“, von denen man sich so häufig wünscht, dass sie sich möglichst unauffällig im Hintergrund halten, hier noch weiterhin eine zweifelhafte Plattform zu geben.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld mit meinen Zeilen und sportliche Grüße,
Christoph Rohacky
ÖBV-Vizepräsident & -Schiedsrichterreferent